Sprache hat Macht. Im Globalen Lernen geht es darum, sich mit gesellschaftlichen Machtverhältnissen (hinter-)fragend und gestaltend auseinanderzusetzen. In und mit der BREBIT wollen wir Gesellschaft gestalten, auch auf sprachlicher Ebene. Das BREBIT-Glossar nähert sich Begriffen, die gegenwärtig im Globalen Lernen verwendet werden, und versucht, herrschenden Machtstrukturen gegenüber sensibel und kritisch zu sein. Begriffsdefinitionen stehen für die Perspektiven derer, die definieren. Sie sind Teil unserer Sprache, sie sind historisch durch koloniale Einflüsse ebenso wie durch aktuelle politische Verhältnisse geprägt. Sie werden vom gegenwärtigen sozialen Wandel im Kontext der Globalisierung beeinflusst. Dieses Glossar orientiert sich an Grundwerten des Antirassismus, der globalen Gerechtigkeit, der kritischen Auseinandersetzung mit kolonialen Kontinuitäten sowie an aktuellen kritischen Debatten um solidarische Ökonomie, Postwachstum, Digitalisierung und Klimagerechtigkeit.
1. Impulse für eine kritische Sprachpraxis
Benennungen/Namen
Benennungen sind politisch, insofern sie Zuordnungen vornehmen, die häufig mit Bewertungen verbunden sind. Selbstbezeichnungen von einzelnen Menschen und von Gruppen sind daher jeder Art von Fremdbezeichnung vorzuziehen, um implizit oder explizit abwertende Botschaften in der Bezeichnungspraxis zu vermeiden und die Definitionsmacht bei jenen zu lassen, die betroffen sind. Besonders respektlos ist die bewusste Zurückweisung von Selbstbezeichnungen.
Zu vermeidende Begriffe
Es gibt in unserem Sprachschatz – ob in Kinder- und Geschichtsbüchern überliefert oder im Alltagsgebrauch – Begriffe, die historisch und in der Gegenwart für Gewalt, Unterdrückung, Erniedrigung und Ungleichheit stehen: Dazu gehören auch Wörter wie das N.-Wort oder der herabsetzende und irreführende Begriff „Indianer“, der besser mit eigenen Gruppenbezeichnungen wie „Native Americans“, „First Americans/Ersteinwohner*innen der Amerikas“ oder „indigene Menschen“ ersetzt werden sollte. Wörter, die jenseits einer kritischen Auseinandersetzung mit Rassismus und Sprache stehen, gehören nicht ins Repertoire der politischen Bildungsarbeit!
Normal
Zu einer kritischen, selbstreflexiven politischen Bildungsarbeit zählt für uns ein Hinterfragen der Kategorie „normal“. Was als „normal“ gilt, verweist immer auch auf gesellschaftliche Machtverhältnisse. In der Regel definieren jene, die über Macht verfügen, welches Aussehen, Denken oder Handeln, welche Werte, Zugehörigkeiten oder Glaubensformen der Norm entsprechen und damit als „normal“ gelten. Diskriminierungssensibel zu arbeiten bedeutet auch, den eigenen Normalitätsbegriff immer wieder zu hinterfragen und in der Bildungsarbeit den Blick auf verschiedene Normalitäten zu weiten.
Helfen
Die Idee des Helfens steht nach wie vor hoch im Kurs in entwicklungspolitischen Kontexten. Dabei werden die historischen und strukturellen Ursachen von Armut und globaler Ungleichheiten häufig außer Acht gelassen. Nur wenn koloniales Unrecht und neokoloniale Ausbeutungsstrukturen ausgeblendet werden, können sich jene, die im Globalen Norden von diesen Strukturen profitieren, als Helfer*innen hervortun. Vor diesem Hintergrund argumentieren Wissenschaftler*innen aus dem Globalen Süden zunehmend gegen jegliche Form der Entwicklungshilfe und fordern stattdessen strukturelle Veränderungen und Diskussionen um Reparationen für begegangenes koloniales Unrecht. Wir laden im Sinne eines kritischen Globalen Lernens dazu ein, danach zu fragen, wie wir selbst zu den Problemen beitragen, bevor wir zu ‚helfen‘ versuchen.
Retten
Im Kontext der Klimakrise ist häufig davon die Rede, das ‚Klima‘ oder den Planeten Erde an sich zu retten. Häufig nährt sich diese Formulierung aus einem anthropozentrischen (auf den Menschen hin orientierten) Blick. Diese Perspektive birgt die Gefahr, die eigene Verstrickungen in die Klimakrise und/oder das Ausmaß derselben kleinzureden. Die Rolle der Retter*in schließt darüber hinaus an koloniale Bilder
weißer Allmacht an. Dekoloniale Denker*innen mahnen in Bezug auf die Klimakrise zu mehr Demut angesichts der eigenen Verantwortung und Handlungsfähigkeit.
2. Annäherungen an Begriffe
Buen Vivir
Buen Vivir knüpft an indigene Lebensweisen und religiöse Vorstellungen aus dem Andenraum an, die auf einem „guten Zusammenleben“ in Gemeinschaft und im Einklang mit Pachamama, der Mutter Erde, basieren. In Bolivien und Ecuador wurde Buen Vivir als Staatsziel in die Verfassung aufgenommen. In Ecuador hat Pachamama eigene verfassungsmäßige Rechte, während in der Verfassung Boliviens auch die industrielle Nutzung natürlicher Ressourcen verankert ist. Buen Vivir stellt zerstörerische Wachstums- und Fortschrittskonzepte in Frage; zugleich beinhaltet sein aktuell populäres Aufgreifen das Risiko der Romantisierung von indigener Armut, traditionellen Geschlechterrollen und lokalen Herrschaftsstrukturen.
Charity/Wohltätigkeit
Diejenigen, die mehr haben als andere, geben aus Wohltätigkeit freiwillig anderen etwas ab. Viele Menschen weltweit könnten ohne solche Hilfe nicht überleben. Die Zunahme von Wohltätigkeit weist auf wachsende gesellschaftliche Ungleichheit hin. Dieses ungleiche Verhältnis, in dem die einen geben und die anderen nehmen, bearbeitet nur die Symptome globaler Ungleichheit, nicht aber die Ursachen. Dadurch tendiert Charity dazu, die Unterschiede zwischen Stärkeren und Schwächeren zu verfestigen. Oft ist Wohltätigkeit nur oberflächlich selbstlos, dient jedoch der Steuerersparnis oder wird selbst zum profitablen Geschäftsmodell. Der Reichtum und die Privilegien, die Voraussetzung für die eigene Wohltätigkeit sind, werden vorausgesetzt, aber nicht als Teil des Problems (globaler) Ungleichheit verstanden.
Commons/Gemeingüter
Wenn Land und andere Ressourcen nicht in Privatbesitz sind, sondern allen frei zur Nutzung zur Verfügung stehen, werden diese als Gemeingüter bezeichnet. Die Commons-Bewegung setzt sich dafür ein, dass das alte Konzept der Allmende im Gewand der Commons/Gemeingüter neuen Zuspruch erfährt. Nicht zuletzt im Bereich der nicht-materiellen Güter setzen sich viele Menschen für deren freie Nutzung und Verteilung ein: Software, Musik oder Wissen werden unter Creative-Commons-Lizenzen der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt. Aber auch bei Land, Wasser, Saatgut und anderen natürlichen Rohstoffen gibt es entsprechende Bemühungen.
Critical Whiteness (Dt.: Kritisches Weißsein)
Der Ansatz des Critical Whiteness geht davon aus, dass Rassismus von Weißen praktiziert wurde und wird und deshalb vor allem ein Problem ist, das sie selbst geschaffen haben – konsequenterweise müssen sich also Weiße mit der Konstruktion von Weißsein beschäftigen, um offenzulegen, wie Rassismus wirkt. Weißsein wird dabei als gesellschaftliche Norm konstruiert, wodurch Privilegien, die weiße Menschen genießen, denselben häufig gar nicht bewusst sind. Critical Whiteness fördert die Reflexion der weißen gesellschaftlichen Positionierung und die Auseinandersetzung mit persönlichen Verstrickungen in rassistische Strukturen.
Daten
Digitale Daten gelten als wertvoller Rohstoff. Jede Nutzung digitaler Medien generiert Daten zu genutzten Geräten, Konsumverhalten, besuchten Webseiten, zu Kontakten und vielem mehr. Im Zuge der massenhaften Erhebung von Daten, auch Big Data genannt, werden digitalisierte persönliche Daten systematisch kommerziell genutzt und verkauft. Dienste wie Facebook und Co. werden mit der Preisgabe persönlicher Daten bezahlt. Globale Ungleichgewichte zeigen sich auch hier: Zwar werden im Globalen Süden ebenfalls viele Daten generiert, ihre kommerzielle Verwertung erfolgt aber wiederum häufig im Globalen Norden. Die Nutzung digitaler Datensammlungen wirft weltweit Fragen von Persönlichkeitsrechten und der Wahrung von Freiheitsrechten auf.
Definitionsmacht
In emanzipatorischen Diskursen über rassistische, sexistische und andere diskriminierende Gewalt wird Definitionsmacht allein den »Betroffenen« einer Diskriminierung zugestanden, die selbst entscheiden dürfen, wann eine Grenzüberschreitung stattfindet und ob er*sie sich durch eine Aussage oder Handlung herabgesetzt fühlt. Eine solche Entscheidung ist nach diesem Konzept nicht mehr anzufechten.
Degrowth/Postwachstum
Der Begriff „Degrowth“, oft mit „Postwachstum“ übersetzt, versammelt verschiedene Ansätze von Wachstumskritik und knüpft an die Studie „Die Grenzen des Wachstums“ des Club of Rome von 1972 an. Degrowth-Anhänger*innen fordern, dass die ökonomische Logik und Sprache der öffentlichen Debatte dekolonialisiert wird. Die Abschaffung des Wirtschaftswachstums definieren sie als gesellschaftliches Ziel. Indem das Konzept auf den Widerspruch zwischen Nachhaltigkeit und weiterem Wirtschaftswachstum verweist, wendet es sich auch gegen eine Entpolitisierung der Debatte um nachhaltige Entwicklung. Degrowth zeigt außerdem eine alternative Richtung auf, wie zukünftige Gesellschaften weniger Ressourcen verbrauchen, alternative Wirtschaftspraktiken erproben und sich anders organisieren und leben können als wir heute.
dekolonial
Der Begriff verweist auf eine Haltung oder eine Vorstellung von der Welt, die Geschichte und Gegenwart nicht allein von Europa aus bewertet, sondern stattdessen auch jene Menschen, die seit der europäischen kolonialen Expansion im 15. Jahrhundert auf verschiedene Weise unterdrückt worden sind/werden, als historische Akteur*innen und gesellschaftliche Subjekte begreift. Dekolonial bezieht sich dabei nicht nur auf die praktische politische Entkolonisierung von Nationalstaaten, sondern vor allem auch auf ein Dekonstruieren und Verlernen von kolonialrassistischen Denkmustern und Gesellschaftsstrukturen, die seit 600 Jahren wirken.
Diaspora
Diaspora bedeutet wörtlich „Zerstreuung“ und wird schon seit der Antike als Begriff verwendet. Er beschreibt menschliche Migrationsprozesse und bezeichnet die Gesamtheit der in verschiedene Regionen migrierten Gemeinschaften gleicher Herkunft. Diese Migration kann freiwillig oder wie im Falle der Jüdinnen und Juden bei der Vertreibung aus Palästina und bei der Versklavung und Deportation afrikanischer Menschen nach Amerika unter Gewaltandrohung erfolgt sein. Es finden sich aber auch Diasporas von Arbeitsmigrant*innen, die wirtschaftliche Motive für ihre Auswanderung haben, sowie von Kolonisierenden, deren imperiale Migration – wie zum Beispiel in Namibia, den USA, Australien und Neuseeland - mit extremer Gewalt durchgesetzt wurde.
digitale Arbeit
Unter digitaler Arbeit werden verschiedene Tätigkeiten zusammengefasst, die entweder im Internet stattfinden oder dieses als zentrales Element nutzen. Darunter fallen genauso „ältere“ Berufe, die jetzt durch das Internet verändert werden, wie Versicherungsdienstleistungen, wie auch „neue“ Berufe, die erst mit dem Internet entstanden sind. Beispiele sind Call-Center-Agent*in oder YouTuber*in. Viele nicht-automatisierbare Tätigkeiten im Sektor digitaler Arbeit werden in Länder des Globalen Südens ausgelagert.
digitale Infrastruktur
Straßen und Schienen entscheiden als physisch-technische Infrastruktur über die Erreichbarkeit eines Ortes. Mit der Einführung des WorldWideWeb wurde oftmals der Begriff Datenautobahn gebraucht, um die Verbindung zur klassischen Infrastruktur deutlich zu machen. In den Bereich der digitalen Infrastruktur fallen sowohl Hardware als auch Software. Der Breitbandausbau, Infrastruktur in Schulen (Digitalpakt) und das Stromnetz sind Prioritäten der aktuellen Bundesregierung in diesem Bereich. Die Entwicklung von Hard- und Software orientiert sich dabei häufig an der Marktlage und den Bedürfnissen im Globalen Norden. Länder wie Kenia oder Ruanda zeigen, wie Länder im Globalen Süden eigene Ansätze entwickeln.
digitale Kluft (digital divide)
Das Internet und die moderne Technik scheinen uns alle schnell und unkompliziert zu vernetzen. Bestimmte Gruppen haben allerdings weiterhin keinen oder weniger Zugang zu digitalen Technologien, inklusive Internet. Sowohl regionale Unterschiede zwischen Stadt und Land, zwischen Ländern und Kontinenten als auch Faktoren wie Geschlecht, soziale Herkunft und Einkommen spielen dabei eine Rolle. Einflussmöglichkeiten und Wissen bleiben ungleich verteilt, diese Unterschiede sind in Bezug auf das Internet deutlich größer als bei älteren Medien. Bereits bestehende Chancenungleichheiten werden verstärkt.
Digitale Rechte
In Anlehnung an Grundrechte wie Meinungsfreiheit und das Recht auf Privatsphäre werden digitale Rechte eingefordert, die verschiedene Rechtsbereiche in Bezug auf die Digitalisierung durchdenken. Dazu zählt die Wahrung der Teilhabe aller an politischen Prozessen, der Arbeitsschutz oder die freie Meinungsäußerung. Die Forderung nach digitalen Rechten trägt Veränderungen in unserer Lebensrealität durch die Digitalisierung Rechnung. Mehrere Länder haben den Zugang zum Internet gesetzlich als Recht anerkannt. Darüber hinaus geht es um spezifische Rechte, die erst mit der Digitalisierung gesellschaftlich relevant werden: So werden ein Recht auf Vergessen oder Richtlinien für die Verarbeitung von Massendaten (Big Data) diskutiert.
digitaler Handel
Die Digitalisierung verändert auch den Handel. Der Vertrieb von Gütern und Dienstleistungen über das Internet ist enorm gestiegen. Preisvorteile für den*die Konsument*in lassen den Onlinehandel boomen. Die Arbeitsbedingungen in Logistikzentren und bei Paketzusteller*innen sind prekär. Die Zunahme von international bestellten Paketen stellt den Zoll und in Folge auch lokale Ökonomien vor große Herausforderungen. Illegale oder gefälschte Waren, wie zum Beispiel Medikamente, kommen so öfter am Zoll vorbei. Digitale Güter wie Musik, Filme, E-Books werden direkt über das Internet übertragen. Die größten E-Commerce Märkte liegen in Ländern des Globalen Nordens, wie den USA, Japan und Deutschland. Insofern dominieren die Länder des Globalen Nordens die Verhandlungen um internationale Handelsverträge zur Gestaltung des digitalen Handels. Globale Ungleichheiten werden fortgeschrieben.
digitale Sicherheit
Digitale Sicherheit zielt auf Fragen individueller und kollektiver Sicherheit ab, die sich aus der Digitalisierung ergeben. Dies umfasst zum Beispiel die sichere Speicherung von (sensiblen) Daten, die Nutzung sicherer Kommunikationskanäle oder die Kenntnis von Zugriffsrechten von verwendeter Software. Digitale Sicherheit ist eine Schlüsselfrage in der (globalen und lokalen) Menschenrechtsarbeit.
Digitalisierung
meint die Umwandlung, Speicherung und Verarbeitung analoger Werte in einem digitaltechnischen System. Sie beeinflusst die Gesellschaft in allen Bereichen und bringt vor allem durch die Durchmischung von Privatem und Öffentlichem viele ethische Schwierigkeiten mit sich. So stellen sich Fragen des Zugangs, der Nutzung und der Machtverteilung. Denn Algorithmen, Daten und Software sind zielgerichtet von Menschen gestaltete Strukturen und wiederholen existierende gesellschaftliche Ungleichheiten. Im Zuge der Digitalisierung entstehen auch alternative Strukturen und Systeme, die kritische Impulse setzen: So orientieren sich Open Source Programme nicht am Profit, sondern am Nutzen für Verbraucher*innen.
digital natives
Menschen, die von Anfang an mit digitalen Technologien aufgewachsen sind und die durch deren Selbstverständlichkeit ein hohes Vertrauen im Umgang mit diesen zeigen, werden digital natives genannt. Das Lernen durch die tägliche Verwendung führt zu einer intuitiven Nutzung. Gleichzeitig besteht hier mitunter die Gefahr, dass Verhaltensweisen wie zum Beispiel ein sorgloser Umgang mit unzureichendem Datenschutz unreflektiert übernommen werden. Digitale Medienkompetenz zu vermitteln, bedeutet an solchen kritischen Punkten anzusetzen.
Ernährungssouveränität
Im Unterschied zur Ernährungssicherung (alle Menschen haben genug zu essen) meint Ernährungssouveränität, dass alle Menschen das Recht und die reale Möglichkeit haben, über ihre Ernährung selbst zu entscheiden und für sie zu sorgen. Die internationale Vereinigung von Kleinbauern und -bäuerinnen sowie Landlosen, Via Campesina, fordert dies schon lange. 2008 empfahl der Weltagrarbericht Ernährungssouveränität als Strategie gegen den Hunger. Land Grabbing (Landraub) und die Dominanz der agroindustriellen Landwirtschaft stehen einer systematischen Umsetzung von Ernährungssouveränität allerdings entgegen.
„Entwicklung“
Seit Beginn des 20. Jahrhunderts werden in deutschen Wörterbüchern „Entwicklung“ und „entwickeln“ als „sich stufenweise herausbilden“ oder „in einem Prozess fortlaufend in eine neue (bessere) Phase treten“ definiert. Der Begriff ist in unserem Sprachgebrauch also eindeutig positiv besetzt und drückt ein erstrebenswertes Ziel aus. Als Maßstab und Ziel jeder Entwicklung wird in der Regel der industrialisierte Norden definiert. Dadurch kommt es zu einer Hierarchisierung verschiedener Lebensweisen. Diese Einteilung und Bewertung von Gesellschaften legitimiert(e) koloniale Herrschaft und neokoloniale Einflussnahmen. Den Menschen aus Afrika und Amerika wurde lange Zeit sogar jede Entwicklungsfähigkeit abgesprochen. Viele Theorien und Bewegungen kritisier(t)en diese eurozentrische Sicht auf „Entwicklung“ und versuch(t)en, anderes Denken über Gesellschaft sichtbar zu machen.
Entwicklungsland/Entwicklungshilfe
Diesen Begriffen liegt die eurozentrische Vorstellung zugrunde, dass es einen Weg gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Entwicklung gäbe, an dem alle Gesellschaften/Länder zu messen wären. In der Praxis ist eine solche Klassifizierung von Ländern häufig mit (neokolonialer) Gewalt verbunden. Die Vorstellung von „Entwicklungsländern“, denen „Entwicklungshilfe“ gegeben wird, blendet die Ursachen von Armut und globaler Abhängigkeit aus. Koloniale Verbrechen und (neo-)koloniale Politiken, wie beispielsweise willkürliche Grenzziehungen oder die fortdauernde Ausbeutung natürlicher Ressourcen zugunsten des Globalen Nordens, tragen maßgeblich dazu bei, globale Ungleichheiten zu befestigen. Deshalb fordern Aktivist*innen weltweit zunehmend Reparationen, also Wiedergutmachung, statt „Entwicklungshilfe“ oder Projekten der „Entwicklungs zusammenarbeit“ ein.
Eurozentrismus
Dieser Begriff beschreibt die Beurteilung der Welt aus der Perspektive „europäischer Werte und Normen“. Europa wird als das Zentrum des Denkens und Handelns verstanden und seine Entwicklungsgeschichte als Maßstab für andere Kontinente gesehen.
Exotismus
Exotismus ist eine Form des Eurozentrismus und Rassismus, der Schwarze Menschen und Menschen of Colour als essentiell „anders“ bewertet. Ursprünge des Exotismus finden sich im Zeitalter des Kolonialismus, als gesellschaftskritische weiße Europäer_innen begannen, das konstruierte »Fremde« und „Freie“ zu idealisieren (z.B. »Der edle Wilde«). Schwarze Menschen und PoC wurden dabei als Projektionsflächen für die eigene Befreiung aus sexuellen und gesellschaftlichen Zwängen missbraucht. Es handelt sich dabei also auch um eine rassistische und oft sexistische Praxis.
Extraktivismus
Dieser Begriff benennt eine auf den Export von natürlichen Ressourcen ausgerichtete Entwicklungsstrategie, die auf der Rohstoffausbeutung oder der intensiven Nutzung von Agrarland basiert. In der Gesamtwirtschaft gewinnt dabei der Rohstoffabbau im Vergleich zur verarbeitenden Industrie an Bedeutung. Der uruguayische Intellektuelle Eduardo Gudynas versteht im Vergleich zum Extraktivismus unter Neo-Extraktivismus die größere staatliche Kontrolle über die Einnahmen aus den extraktiven Industrien, die vermehrt für soziale Projekte verwendet werden. Er kritisiert, dass durch die breitere Verteilung der Gelder das „Entwicklungsmodell“ stärker legitimiert, Menschenrechtsverletzungen und Umweltprobleme gleichzeitig aber marginalisiert werden.
Fairer Handel
Der Faire Handel stärkt Gerechtigkeit im Welthandel. Dies erfolgt in erster Linie über Handelspartnerschaften mit Produzent*innen im Globalen Süden, die auf Dialog, Transparenz und Respekt beruhen. Ausgehend von einer Kritik an unfairen Produktionsbedingungen will der faire Handel die Einhaltung sozialer Rechte für benachteiligte Produzent*innen und Arbeiter*innen erwirken. Über die faire Gestaltung der Handelsbedingungen (kein Zwischenhandel, feste Preise) hinaus zahlen Fair-Handels-Organisationen den Produzent*innen Fair-Handels-Prämien zum Aufbau lokaler Infrastrukturen. Sie engagieren sich außerdem in der Bewusstseinsbildung sowie der Kampagnenarbeit zur Veränderung der Regeln und der Praxis des konventionellen Welthandels. Mit der zunehmenden Verbreitung zertifizierter Produkte stellt sich aber auch die Frage, inwieweit ein gerechtes Welthandelssystem an der Supermarktkasse „gekauft“ werden kann.
Freihandelsabkommen
Die EU verhandelt diese für Europa mit fast allen Staaten und Regionen auf der Welt (z.B. TTIP, TISA oder CETA). In den letzten Jahrzehnten wurden Freihandelsabkommen verstärkt genutzt, um den Zugang zu Rohstoffmärkten zu ermöglichen und somit die Versorgungssicherheit der europäischen Industrie zu erhöhen. In vielen Abkommen werden Exportzölle verboten oder Gesetze souveräner Staaten (vorwiegend im Globalen Süden) eingeschränkt.(Local-Content-Klauseln)
Genossenschaften/Kooperativen
Genossenschaften/Kooperativen sind als Organisationsform im Kontext einer weltweiten Bewegung Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden. In vielen Fällen handelt es sich dabei um Unternehmen im Eigentum ihrer Mitglieder. Genossenschaften/Kooperativen wirtschaften entweder zur Selbstversorgung ihrer Mitglieder oder indem die Mitglieder gemeinsam am Markt handeln.
Geplante Obsoleszenz
Obsoleszenz bedeutet im wirtschaftlichen Kontext sich abnutzen, alt werden oder aus der Mode kommen. Dies kann zum Beispiel durch technischen Fortschritt passieren: Videokassetten und -abspielgeräte wurden durch die Erfindung der DVD überflüssig. Von geplanter Obsoleszenz spricht man dann, wenn bei Produkten bewusst Mechanismen eingebaut werden, damit diese schneller veralten. Dies kann zum einen durch die Herstellung von Produkten schlechter Qualität passieren, die schnell kaputt gehen, zum anderen dadurch dass Ersatzteile nicht oder überteuert angeboten werden. Ziel ist es, dass Produkte bald nicht mehr nutzbar sind und stattdessen neue gekauft werden. In engem Zusammenhang steht der Begriff der Wegwerfgesellschaft, in der Gegenstände überwiegend nicht mehr repariert, sondern weggeworfen und durch neue ersetzt werden.
Global Citizenship
Nach diesem Konzept haben alle Personen Verantwortung und Rechte durch die Zugehörigkeit zu einer globalen Weltgemeinschaft. Ein Ausdruck dieses aktiven Eintretens für die globale Gemeinschaft ist die Global Citizenship Education. Sie hinterfragt die aktuellen Zusammenhänge unserer globalen Gesellschaft und weist viele Schnittmengen mit dem Globalen Lernen auf. Global Citizenship Education stärkt ein globales Zugehörigkeitsgefühl und zielt darauf ab, nach einer friedlichen und gerechten Welt für alle zu streben, statt eigene Identität an Nationalstaaten festzumachen.
Globale soziale Rechte
Der Debatte um globale soziale Rechte liegt das Verständnis zugrunde, sich bedingungslose Grundrechte aneignen zu müssen, um eine partizipative, gerechtere und demokratische Gesellschaft zu ermöglichen. In dieser Gesellschaft wird es dem Individuum durch Entfaltungsrechte ermöglicht, sich als selbstbestimmten Teil der Gesellschaft zu erleben. Solche globalen sozialen Rechte müssen sich die Akteur*innen erkämpfen. Dieser Kampf um das Recht, Rechte zu haben, kann zum gemeinsamen Kristallisationspunkt verschiedener, konkreter Kämpfe von politischen Akteur*innen und Menschenrechtler*innen, von Migrant*innen und Arbeitnehmer*innen, von Nichtregierungsorganisationen und sozialen Bewegungen werden. Globale soziale Rechte beziehen sich stark auf den Menschenrechtsgedanken, gehen aber über ihn hinaus: Sie richten sich nicht an eine staatliche oder überstaatliche Organisation, sondern fordern zu aktiver Aneignung von als legitim erkannter Rechten auf.
Globaler Süden und Globaler Norden
Diese beiden Begriffe sind nicht geografisch zu verstehen, sondern beschreiben verschiedene Positionen im globalen System. Der Globale Süden ist dabei politisch, gesellschaftlich und ökonomisch benachteiligt, der Globale Norden hingegen genießt zahlreiche Vorteile und Privilegien. Die Begriffe werden als Alternative zu den (ab-)wertenden Bezeichnungen „Entwicklungsländer“ und „entwickelte Länder“ verwendet.
Glücksökonomie
Mit dem Begriff der Glücksökonomie verhandeln mittlerweile auch westliche, kapitalistische Gesellschaften die Möglichkeit, Ökonomie wieder über andere Parameter als Wirtschaftswachstum zu denken. In diesem Zusammenhang wird oft, mitunter recht unkritisch, auf das Bruttonationalglück in Bhutan Bezug genommen. Seit 2012 erscheint im Kontext der Vereinten Nationen der World Happiness Report, der Glück und Wohlbefinden misst und im Vergleich darstellt. Damit wird der Forderung Rechnung getragen, Glück als neues ökonomisches Paradigma ernstzunehmen und die einseitige Fokussierung auf Wirtschaftswachstum und Bruttoinlandsprodukt zu hinterfragen.
Green Economy (auch Green Growth, Green New Deal)
Unter diesem Stichwort wird eine Wachstumsstrategie verhandelt, die davon ausgeht, dass die Wirtschaft „grün“, also nachhaltig und ressourcenschonend wachsen kann, wenn die richtigen politischen Anreize geschaffen werden. Insbesondere durch den Einsatz entsprechender Technologien soll erreicht werden, dass trotz steigenden Wachstums nicht mehr Ressourcen verbraucht und Emissionen produziert werden. Oft gelingt diese Entkopplung des Wachstums des Rohstoffverbrauchs und der Emissionen vom Wirtschaftswachstum nur relativ, nicht vollständig.
Indigen
„Indigen“ bezeichnet in den gleichnamigen Forschungszweigen jene Bevölkerungsgruppen, die seit Generationen auf dem Land leben und zu diesem einen engen kulturellen und ökonomischen Bezug haben. In der politischen Bildungsarbeit versuchen wir, mit der Bezeichnung „indigene Gesellschaften“ (ab-)wertende Begriffe wie „Eingeborene“ zu vermeiden. Als Alternativbegriff empfehlen wir statt des an „Urmenschen“ und „Urgesellschaft“ erinnernden Begriffs der „Ureinwohner*innen“ den respektvolleren Ausdruck „Ersteinwohner*innen“ zu verwenden, der zudem den geschichtlichen Verlauf der Kolonialisierung korrekt reflektiert.
Industrie 4.0
Die Industrie 4.0, auch bezeichnet als vierte industrielle Revolution, beschreibt den Prozess der intelligenten Vernetzung von digitaler Technologie und Produktionssystemen. Maschinen, Produkte, Fertigungsprozesse und Logistik werden digital verknüpft. Das Ergebnis ist das so genannte „Internet der Dinge“: Wie beim „Smart Home“ sind Geräte und Gegenstände über das Internet vernetzt, stimmen sich selbstständig ab und entziehen sich so der individuellen Kontrolle. Durch diesen Prozess verändert sich auch der Arbeitsmarkt. 50 Prozent der Arbeitsplätze im Globalen Norden sollen in den nächsten 10 bis 20 Jahren durch Automatisierung entfallen.
Imperiale Lebensweise
Die heutigen Produktions- und Konsummuster im Globalen Norden basieren nicht nur auf kolonialer Ausbeutung, sondern führen diese auch fort. Wir im Globalen Norden können uns unsere Lebensweise nur leisten, weil wir deren zerstörerische Folgen für Mensch und Natur auslagern (externalisieren). Das heißt: Wir muten sie anderen Ländern und Gesellschaften zu und können so die desaströsen Folgen dieser Lebensweise ausblenden. Diese imperiale Lebensweise basiert auf Ungleichheit, Macht und Herrschaft sowie mitunter auch auf Gewalt, die sie gleichzeitig auch hervorbringt. Zu den ausgelagerten Folgen der imperialen Lebensweise gehören beispielsweise ökologische Katastrophen, verursacht durch Rohstoffabbau, ebenso wie katastrophale Arbeitsbedingungen in weiten Teilen globalisierter Lieferketten.
Klimabewegungen
Weltweit organisieren sich Menschen lokal, überregional und transnational, um Auswirkungen und Ursachen des Klimawandels zu thematisieren und nach Handlungsmöglichkeiten zu suchen. Während die Geschichte der Klimabewegungen aus Perspektive des Globalen Nordens häufig in den 1980er Jahren beginnend erzählt wird, problematisieren antikoloniale Bewegungen seit Jahrhunderten beispielsweise den europäisch-westlichen Naturbegriff als Teil des Problems und kämpfen gegen Naturzerstörung und für Land- und Menschenrechte. Die verschiedenen Klimabewegungen unterscheiden sich mitunter auch in ihren Vorgehensweisen: Extinction Rebellion und Fridays for Future arbeiten beispielsweise mit unterschiedlichen Methoden des Protests, das Green Belt Movement (Kenia) oder das House of Khamelon (Fiji) sind Organisationen, die in lokale Problemlagen intervenieren und Gesellschaft mitgestalten.
Klimagerechtigkeit
Die Forderung nach Klimagerechtigkeit geht davon aus, dass nicht alle Menschen, Gemeinschaften und Staaten gleichermaßen Verantwortung für die Klimakrise tragen. Sie stoßen unterschiedlich viel Treibhausgase aus. Menschen und Gesellschaften im Globalen Norden belasten mit ihrer Lebensweise und ihren Produktionsmustern das Klima in hohem Maße, während Menschen im Globalen Süden und marginalisierte Menschen im Globalen Norden stärker von den Folgen der Klimakrise betroffen sind. Aus dieser unterschiedlichen Verantwortung und Betroffenheit ergibt sich die Notwendigkeit, Handlungsstrategien ausdifferenziert zu denken. Die Forderung nach Klimagerechtigkeit wird von Menschen aus dem Globalen Süden seit mehr als 20 Jahren formuliert.
Klimaneutral
Klimaneutralität bedeutet im Prinzip, dass keine Treibhausgase (wie CO₂, Methan oder Lachgas) mehr ausgestoßen werden. Bis wir die erforderlichen Technologien und Gesetze dafür haben, geht es darum, den Ausstoß so weit wie möglich zu verringern. Treibhausgase, die trotzdem freigesetzt werden, werden durch Gegenmaßnahmen ausgeglichen. Um Klimaneutralität zu erreichen, gibt es unterschiedliche Ansätze und Ideen. Das Problem ist, dass nicht in erster Linie Maßnahmen entwickelt werden, um Treibhausgase zu reduzieren, sondern aktuell stärker mit Ausgleichsmaßnahmen gearbeitet wird. Maßnahmen zur Reduktion wären zum Beispiel eine Agrarwende, keine fossilen Brennstoffe mehr für die Energieversorgung oder eine Verkehrswende, die nicht auf Autos basiert. Stattdessen werden Treibhausgase weiterhin ausgestoßen werden und beispielsweise die Pflanzung junger Bäume (vor allem im Globalen Süden) als Ausgleich mit diesen aufgerechnet wird.
Klimaschuld
Die Klimakrise betrifft zwar den gesamten Globus, wirkt sich aber ganz unterschiedlich aus. Die Regionen und Bevölkerungsgruppen, die am stärksten zur Klimakrise beitragen, sind meistens weniger von den Folgen betroffen und können sich auch besser davor schützen als diejenigen, die am wenigsten verantwortlich sind. Auf der Klimakonferenz der Vereinten Nationen 2009 beantragte eine Gruppe von Ländern des Globalen Südens unter der Führung Boliviens die Rückzahlung von Klimaschulden.Um ihre Klimaschuld zu begleichen, sind die früh industrialisierten Länder und transnationalen Konzerne verpflichtet, Entschädigungszahlungen für Schäden und Verluste an stärker von der Klimakrise betroffene Regionen zu leisten.
Klimawandel/Klimakrise
Klimakrise beschreibt die ökologische, politische und gesellschaftliche Krise im Zusammenhang mit der menschengemachten globalen Erwärmung. Der Weltklimarat IPCC geht davon aus, dass ein durchschnittlicher Anstieg von 1,5 Grad das Aussterben von etwa 20 bis 30 Prozent aller Arten verursachen könnte.Die Folgen des Klimawandels führen insbesondere im Globalen Süden bereits seit Jahrzehnten dazu, dass sich die Lebensbedingungen für Menschen, Pflanzen und Tiere gravierend verändert haben. Im Zuge der aktuellen Klimaproteste und der akut wahrgenommenen Bedrohung für den Globalen Norden wird deswegen anstatt von Klimawandel von Klimakrise gesprochen.
Kolonialismus
Kolonialismus ist eine Herrschaftsbeziehung zwischen Kollektiven, bei welcher die fundamentalen Entscheidungen über die Lebensführung der Kolonialisierten durch eine kaum anpassungswillige Minderheit von Kolonialisierenden unter vorrangiger Berücksichtigung auswärtiger Interessen getroffen und tatsächlich durchgesetzt werden. Damit verbinden sich in der Neuzeit in der Regel eine Sendungsideologie und Rechtfertigungsdoktrinen, die auf der Überzeugung der Kolonialherren von ihrer eigenen kulturellen Höherwertigkeit beruhen. (nach Jürgen Osterhammel)
Kolonialität
Moderne gesellschaftliche Strukturen von Machtausübung und Wissensproduktion sind kolonial-rassistisch geprägt. Diese Kontinuität der Verknüpfung zwischen Kapitalismus, Rassismus und ‚Moderne‘ in post-kolonialen Gesellschaften bezeichnete der peruanische Sozialwissenschaftler Aníbal Quijano als Kolonialität.
Quelle: Autor*innenKollektiv Rassismuskritischer Leitfaden (Hg.) (2015): Rassismuskritischer Leitfaden zur Reflexion bestehender und der Erstellung neuer didaktischer Lehr-und Lernmaterialien für die schulische und außerschulische Bildungsarbeit zu Schwarzsein, Afrika und afrikanischer Diaspora. Berlin.
Kolonialwaren
Als „Kolonialwaren“ galten einst diejenigen Produkte, die aus Kolonien importiert wurden. An manchen Stellen hat sich im Stadt- oder Ortsbild der Schriftzug „Kolonialwarenladen“ noch erhalten oder wird gar noch aktiv verwendet. Zu den klassischen Kolonialwaren zählten: Rohrzucker, Kaffee, Tabak, Tee, Kakao, Gewürze und Südfrüchte. Weder heute noch damals vertrieben Kolonialwarenläden ausschließlich Kolonialprodukte. Sie waren und sind aber ein Zeugnis davon, wie präsent das Kolonialsystem auch im deutschen Alltag war und ist (siehe EDEKA = E.d.K. – Einkaufsgenossenschaft der Kolonialwarenhändler).
Koloniale Kontinuitäten und postkoloniale Erinnerungskultur
Die Frage, wie die Kolonialzeit erinnerungspolitisch aufgearbeitet wird, ist für verschiedene Staaten und Gesellschaften sehr unterschiedlich zu beantworten. Was wird wie erinnert, welchen Umgang findet beispielsweise die deutsche Gesellschaft mit den Verbrechen der Kolonialzeit – das sind Fragen der Erinnerungskultur. Mit dem Begriff der kolonialen Kontinuitäten soll darauf verwiesen werden, dass sich koloniales Denken und koloniale Strukturen an vielen Stellen erhalten haben. Das Erbe des Kolonialismus, seine Spuren in der Gegenwart sind dann Gegenstand der Auseinandersetzung. Dies kann sich auf Straßennamen oder geraubte Gebeine von Opfern des Kolonialismus beziehen. Unter diesem Stichwort ist aber auch eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Demokratieverständnis, der Vorstellung, was ein Nationalstaat ist, und mit Fragen globaler Gerechtigkeit nötig – all diese Punkte sind tief mit der Kolonialgeschichte verwoben und eine Aufarbeitung dieser verwobenen Geschichte(n) von europäischen Kolonialmächten und ehemals kolonialisierten Gesellschaften ist noch längst nicht zu Ende.
Kolumbus, Christoph (spanisch: Christobal Colon)
Genuesischer Seefahrer, Kolonisator, Versklavungshändler, der mit seiner Landung auf den Bahamas im Oktober 1492 im Auftrag der spanischen Krone die Kolonialisierung der Amerikas durch Europa einläutete. (Sprache hat Macht – es gilt immer wieder zu überlegen, mit welchen Begriffen wir Menschen/Situationen/soziale Verhältnisse beschreiben!)
Konfliktrohstoffe
Als solche gelten Rohstoffe, deren Abbau oder Handel gewaltvolle Konflikte auslösen oder bestehende Konflikte finanzieren und somit verlängern oder intensivieren. In den letzten Jahren gab es erste Versuche der politischen Regulierung.
Kultur
Umgangssprachlich verbinden viele Menschen mit Kultur alle möglichen künstlerischen, geistigen und wissenschaftlichen Dinge, die in einer bestimmten Region von einer bestimmten Bevölkerungsgruppe hervorgebracht werden. Oftmals geht damit ein sehr starres, statisches, abgeschlossenes und diffuses Bild von Kultur einher, die mit einem Nationalstaat (z.B. „argentinische Tanzkultur“), mit einer Religion oder einer ganzen Region („Kultur des Orients“) assoziiert wird. Das führt oft dazu, dass rassistische Verallgemeinerungen entstehen und der Kulturbegriff den in Deutschland kaum noch verwendeten Begriff der ›Rasse‹ ersetzt. Wir verstehen unter Kultur ein System, das unterschiedliche Wertvorstellungen schafft, mit Hilfe derer soziale Gruppen interagieren. Dabei kann diese Kultur staatliche wie auch familiäre, sprachliche etc. Grenzen überschreiten (z.B. Hip-Hop-Kultur, migrantische Diasporas). Auch „besitzt“ eine Person nicht einfach eine Kultur, sondern wird von verschiedenen Kulturen beeinflusst, schreibt sie fort und gestaltet diese mit. Kulturen sind immer in Bewegung und verändern sich stetig.
Land Grabbing (Dt: Landraub)
Der englische Begriff steht für die Aneignung von Land, insbesondere von Agrarflächen oder agrarisch nutzbaren Flächen, durch oft wirtschaftlich oder politisch durchsetzungsstarke Akteur*innen. Als „Land Grabbing“ wurden in den vergangenen Jahren im deutschen Sprachraum geschäftliche Transaktionen bezeichnet, bei denen Regierungen oder Unternehmen auf fremden Staatsgebieten große Ländereien erwarben. Dabei sind die Beweggründe für den Landkauf sehr unterschiedlich. Sie reichen von der Sicherung der Nahrungsmittelversorgung und Rohstoffversorgung für die eigene Bevölkerung über die profitable Agrar- und Rohstoffproduktion für den Weltmarkt bis hin zu Bodenspekulation als Geldanlage. Für die illegale Form des Landerwerbs gibt es auch den deutschen Begriff Landraub.
Lieferkette
Die Lieferkette bezeichnet den Weg vom Rohstoff über Zwischenprodukte bis zum fertigen Produkt. Bei der Lieferkette eines Unternehmens handelt es sich häufig um ein weit verzweigtes Netzwerk. Im Bereich der metallischen Rohstoffe unterteilen sich Lieferketten in den Bereich vom Bergbau zur Verhüttung und in den Bereich von der Verhüttung zum fertigen Produkt. In Deutschland ist die Industrie auf Importe von Rohstoffen und Zwischenprodukten aus der ganzen Welt angewiesen. Deutsche Nichtregierungsorganisationenen fordern deshalb, dass deutsche Unternehmen entlang ihrer gesamten Lieferkette auf die Einhaltung von menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten verpflichtet werden müssen, um Menschenrechtsverletzungen einschließlich Konfliktfinanzierung mittel- bis langfristig zu verhindern.
Maafa
In Kiswahili bedeutet Maafa „Katastrophe, Trauma, schweres Leiden“. Historisch umfasst die Maafa-Zeit die Zeit des transatlantischen Versklavungshandels, die Kolonialisierung des Kontinents und die Entrechtung seiner Bevölkerung, einschließlich der bewaffneten Konflikte und Genozide, wie den Völkermord gegen Nama und Herero (1904 – 1908), bis zum (Neo-)
Kolonialismus.
Menschenrechtsverletzungen
Menschenrechtsverletzungen sind Verletzungen der von der UN definierten Menschenrechte. Bei der Herstellung von Produkten wie Kleidung oder elektronischen Geräten sowie bei der Rohstoffgewinnung kommt es immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen. Gründe dafür sind gewalttätige Vertreibungen für Bergbauprojekte und Plantagen, gefährliche Arbeitsbedingungen in Minen und Fabriken, schlechte Bezahlung und die Verschmutzung von Wasser und Luft durch Chemikalien. Zunehmend bedrohlich ist, dass der Handlungsspielraum von Nichtregierungsorganisationen, indigenen Gemeinschaften, Journalist*innen und Aktivist*innen, die sich für Menschenrechte einsetzen, immer stärker eingeschränkt wird.
Moderne Versklavung
Versklavung ist weltweit verboten. Allerdings gibt es moderne Formen von Versklavung wie beispielsweise Zwangsarbeit, Zwangsprostitution oder häusliche Knechtschaft. Gemeinsam ist diesen Formen, dass sich Personen in Situationen befinden, in denen sie ihrer Freiheit beraubt sind, den eigenen Körper zu kontrollieren oder eine bestimmte Arbeit abzulehnen. Personen in einer solchen Lage können leicht ausgebeutet werden – durch Drohungen, Gewalt, Machtmissbrauch oder Täuschung. Auch Kinder sind von verschiedenen Formen moderner Versklavung betroffen. Nach dem Global Slavery Index 2016 sind weltweit 45,8 Mio. Menschen versklavt. Besonders betroffen sind die Branchen Hauswirtschaft, Landwirtschaft, Baugewerbe und Prostitution. Auch in Deutschland gibt es Fälle von Zwangsprostitution und Zwangsarbeit. Besonders betroffen davon sind Frauen aus Osteuropa.
Nachhaltigkeit
Der Begriff der Nachhaltigkeit kommt ursprünglich aus der Forstwirtschaft des 18. Jahrhunderts. Die Ressource Holz sollte nur in dem Maße genutzt werden, in dem sie nachwachsen kann. Seit Ende der 1980er-Jahre wird „Nachhaltigkeit“ breit genutzt, um eine Entwicklung zu beschreiben, die die Erde auch für nachkommende Generationen erhält. Nachhaltigkeit in diesem Sinne verstanden bezieht sich gleichermaßen auf die Dimensionen Wirtschaft, Soziales und Umwelt, auch wenn in der Praxis daraus häufig Widersprüche er-wachsen. Nachhaltigkeitsziele sind seit 2015 in den Sustainable Development Goals (SDG) international verankert und sollen als Kompass für die weitere Entwicklung aller Staaten – der Länder des Globalen Südens ebenso wie der des Globalen Nordens – dienen.
Nachhaltiges Wirtschaften
Der Begriff „Nachhaltiges Wirtschaften“ geht auf den 1987 veröffentlichten Bericht der von der UNO initiierten internationalen Brundtland-Kommission zurück. Mit der Verabschiedung der Agenda 21 auf der Klimakonferenz in Rio de Janeiro 1992 wurde dieses Konzept offizielles Politikziel. Nachhaltiges Wirtschaften soll die Bedürfnisse der Menschheit heute befriedigen und dafür sorgen, dass dies auch für zukünftige Generationen möglich ist. Der Begriff ist sehr vage und wird oft als inhaltsleere Floskel verwendet. Besonders der Konflikt zwischen notwendigem ökologischen Wandel und seiner Unvereinbarkeit mit Vorstellungen von Wirtschaftswachstum läuft dabei Gefahr, übergangen zu werden.
Natur
Insbesondere in indigenen Weltanschauungen wird die Natur bzw. einzelne Entitäten wie ein Fluss oder der Regenwald als Subjekte verstanden. Nach Kämpfen indigener Gemeinschaften findet dieses Naturverständnis wieder vermeht Eingang in geltende Rechtsordnungen, sodass die Natur oder Teile der Natur als eigenständige Rechtssubjekte anerkannt werden.Das koloniale Naturverständnis entkoppelte weiße Mensch und Natur und ging von einer Überlegenheit des Menschen gegenüber der Natur aus. Diese Vorstellung von Natur ist eng mit der Konstruktion von Rassismus verbunden. Das heute global dominante Naturverständnis steht in dieser Denktradition.
Neokolonialismus
Damit werden hier (neu errichtete und fortgesetzte) Abhängigkeiten ehemaliger Kolonien nach der formalen Entkolonialisierung bezeichnet, die ähnlichen oder gleichen kolonialen Mustern und Logiken folgen.
Ökologischer Fußabdruck
Dieser bezeichnet die Fläche von Land, die jeder Mensch zur Aufrechterhaltung seiner Lebensweise verbraucht. Dahinter steht ein Rechenmodell, mit dem der Verbrauch von Biokapazität in ein Verhältnis zur benötigten Fläche auf der Erde gesetzt wird. Verdeutlicht werden damit die negativen sozialen und ökologischen Auswirkungen des eigenen Handelns. Der ökologische Handabdruck steht dagegen symbolisch für nachhaltiges Handeln und Engagement. Der ökologische Rucksack errechnet, wie viele Ressourcen die Herstellung eines bestimmten Produktes verbraucht.
Person of Colo(u)r, People of Colo(u)r (PoC)
Nicht zu verwechseln mit der rassistischen, vor allem im Apartheitregime in Südafrika benutzten Fremdbezeichnung ‚colored‘ (farbig), ist People of Color die selbstgewählte Bezeichnung einer Gruppe, die rassistische Erfahrungen teilt. Wie Schwarz ist People of Color ein politischer und widerständiger Begriff.
Quelle: Autor*innenKollektiv Rassismuskritischer Leitfaden (Hg.) (2015): Rassismuskritischer Leitfaden zur Reflexion bestehender und der Erstellung neuer didaktischer Lehr-und Lernmaterialien für die schulische und außerschulische Bildungsarbeit zu Schwarzsein, Afrika und afrikanischer Diaspora. Berlin.
Postkolonial
Der Begriff verweist nicht so sehr auf die Situation nach dem formalen Ende kolonialer Herrschaft, sondern vielmehr auf die weiter bestehenden (post-)kolonialen Abhängigkeiten, Strukturen und Beziehungen zwischen den Kolonisatoren und den ehemals Kolonisierten. Kolonialismus ist demnach nicht geschichtlich mit der Unabhängigkeit der kolonisierten Staaten abgeschlossen, sondern wirkt bis heute fort, nicht zuletzt im Rassismus oder bei der globalen Arbeitsteilung. Diese Sichtweise ermöglicht eine kritische Reflexion kolonialer Prozesse und ihrer Folgewirkungen.
Privileg
Ein Privileg ist ein Recht, ein Vorteil oder eine Sicherheit, die ein Mensch, zumeist aufgrund einer (zugeschriebenen) Zugehörigkeit zu einer Gruppe, zugestanden bekommt. Gleichzeitig bleibt diese Person aufgrund dieses Privilegs von bestimmten Belastungen, Pflichten und Diskriminierungen verschont. Privilegien beruhen auf historisch gewachsenen, institutionalisierten Systemen – wie beispielsweise Sexismus oder Rassismus.
Race/›Rasse‹
Einige Autor_innen verwenden den deutschen Begriff ›Rasse‹ mit Anführungszeichen, um so einen deutlichen Bezug zur spezifischen deutschen Geschichte des Antisemitismus, Kolonialismus, Nationalsozialismus, des kolonialen Genozids und der Shoa zu benennen. Andere Autor_innen ziehen gerade wegen dieser spezifischen deutschen Vergangenheit den englischen Begriff race vor, um sich von der nationalsozialistischen »Rassenlehre« abzugrenzen. Race/›Rasse‹ bezeichnet konstruierte Gruppenzugehörigkeiten, die gesellschaftliche Verhältnisse naturalisieren, also diese als natürlich bezeichnen. Dazu werden vermeintliche oder tatsächliche Körpermerkmale mit Charaktereigenschaften und Handlungen der Menschen so verknüpft, dass bestimmte Verhaltensweisen für ein Resultat der angenommenen bzw. angeblichen Abstammung oder geografischen Herkunft gehalten werden. Menschliche ›Rassen‹ existieren nicht, Menschen können aber von Rassismus betroffen sein.
Rassismus
Rassismus ist eine Ideologie von Herrschaft und Dominanz. Sie dient dazu, die ungleiche Verteilung von Macht, Privilegien, Ressourcen und Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung zu rechtfertigen und zu stabilisieren. Diese Ideologie wird auch in den medialen Diskursen, in der Wissensproduktion und Bildung fortwährend reproduziert und schafft rassistische Realitäten – diskriminierende Strukturen und Gewalt. In Deutschland wird Rassismus meistens im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus thematisiert, weshalb sich viele Menschen in Deutschland einer kritischen und selbstreflektierten Auseinandersetzung verweigern. Rassismus gegen Schwarze Menschen hat eine lange Geschichte in Deutschland und ist als Folge der kolonialen Ausbeutung des afrikanischen Kontinents bis heute sehr wirkmächtig. Rassismus kann in vielen Formen in Erscheinung treten: als institutionelle Diskriminierung durch Behörden, im Bildungssystem und auf dem Arbeitsmarkt, in Form von medialen Repräsentationen und Zuschreibungen sowie alltäglichen Entwürdigungen und Verletzungen. Auch eine Handlung, die unbewusst und unbeabsichtigt rassistische Auswirkungen hat, ist eine rassistische Handlung.
Quelle: Autor*innenKollektiv Rassismuskritischer Leitfaden (Hg.): Rassismuskritischer Leitfaden zur Reflexion bestehender und der Erstellung neuer didaktischer Lehr- und Lernmaterialien für die schu-lische und außerschulische Bildungsarbeit zu Schwarzsein, Afrika und afrikanischer Diaspora. Berlin 2015.
Ressourcengerechtigkeit
Der Begriff befasst sich mit der globalen Verteilung der Zugangsrechte zu und Nutzungsrechte von Ressourcen und fordert, dass Produktion, Konsum und die Nutzung dieser Lebensgrundlagen sozial und ökologisch gerecht gestaltet werden. Aspekte der Verteilungsgerechtigkeit werden mit Fragen der Klimagerechtigkeit verknüpft. Das Konzept beinhaltet die Forderung, dass Menschen und Natur Vorrang vor Profitinteressen haben müssen. Dabei geht es unter anderem um die Sicherung von Existenz- und Menschenrechten, die Reduktion eines als Privileg durchgesetzten hohen Verbrauchs, um fairen Tausch und um den Ausgleich von Nachteilen sowohl zwischen dem Globalen Norden und Süden als auch innerhalb aller Länder.
Schwarz und weiß
Schwarz und weiß sind nicht als biologische Eigenschaften zu verstehen, sondern bezeichnen politische und soziale Konstruktionen. Schwarz und weiß sind also keine Hautfarben von Menschen, sondern beschreiben ihre Position als diskriminierte oder privilegierte Menschen in einer durch Rassismus geprägten Gesellschaft. Schwarz ist die emanzipatorische Selbstbezeichnung von Schwarzen Menschen. Um den Widerstandscharakter dieses Wortes zu betonen, wird das »S« groß geschrieben. Im Gegensatz zu Schwarz ist weiß keine Selbstbezeichnung (das heißt, weiße Menschen haben nicht von sich aus begonnen sich aufgrund ihrer privilegierten Position als Weiße zu bezeichnen), sondern beschreibt eine dominante Position, die meist nicht benannt wird. Weißsein bedeutet, Privilegien und Macht zu besitzen, wie zum Beispiel sich nicht mit Rassismus auseinandersetzen zu müssen. In Deutschland gelten weiße Menschen als »normal« und meist unhinterfragt als »deutsch«, können sich deshalb beispielsweise frei bewegen, ohne sich ständig ausweisen zu müssen und haben leichtere Zugänge zum Arbeits- und Wohnungsmarkt. Natürlich gibt es andere Diskriminierungsformen wie Klassenzugehörigkeit, die diese Zugänge auch bei weißen Menschen verhindern können. Um den Konstruktionscharakter zu verdeutlichen, wird weiß kursiv geschrieben.
Schwellenland
Mit dem Begriff werden häufig Länder benannt, die aufgrund ihrer wirtschaftlichen Transformation mit hohen Wachstumsraten eine schnelle Industrialisierung erwirkt haben, wo aber gleichzeitig große Defizite bei der Umsetzung der sozialen Rechte (Gesundheit, Bildung etc.) bestehen. Indien, Brasilien und China werden beispielsweise als „Schwellenländer“ bezeichnet. Genau wie bei „Entwicklungsländern“ basiert der Begriff auf einer eurozentristischen Sichtweise auf die Welt und einer damit verbundenen Einteilung in „entwickelt“, „an der Schwelle zur Entwicklung“ und „unterentwickelt“. Siehe auch die Begriffe „Entwicklungsland“ und „Eurozentrismus“.
Sharing
Büchertausch, Schenkboxen oder Kleidertauschpartys sind eine Reaktion auf den Überkonsum mit der Idee, zu teilen statt immer mehr zu konsumieren. Dies wird auch als KoKonsum bezeichnet. „Nutzen statt besitzen“ ist das Credo verschiedener Modelle des Sharing, sei es Carsharing, Leihräder in Großstädten oder das gemeinschaftliche Nutzen von Werkzeugen etc. über Online-Plattformen. Anhänger*innen einer Share Economy verweisen auf die Schonung der Umwelt und die Steigerung des Glücksgefühls. Allerdings sind auch Geschäftsmodelle mit privatem Auto-Teilen oder Zimmervermittlung Teil einer zunehmenden Kommerzialisierung vieler Alltagsbereiche. Die Betreiber*innen der Onlineplattformen und ihre Investor*innen verdienen an Vermittlungsgebühren und am Datenhandel.
Solidarische Ökonomie
Solidarische Ökonomie meint ein Wirtschaften, das auf Kooperation und Sinn statt auf Konkurrenz und Gewinnstreben ausgerichtet ist. Damit verbunden ist eine Kritik an den Grundlagen des vorherrschenden Wirtschaftsdenkens, in dem das Bruttoinlandsprodukt (BIP) und dessen Wachstum als Ziel gesehen werden, ohne die sozialen und ökologischen Folgen mit einzubeziehen. Der Begriff ist stark an der gelebten Praxis orientiert, die in vielen Initiativen weltweit erprobt wird. Dabei geht es oft um Selbstverwaltung, Gemeinwohlorientierung und Naturbezug. Bewegungen wie Transition-Town, Degrowth oder Share-Economy sehen sich als Teil dieser weltweiten Bewegung hin zu einem solidarischen Wirtschaften.
Sozial-ökologische Transformation
Darunter werden verschiedene Ansätze eines gesellschaftlichen Wandels in Richtung Nachhaltigkeit gebündelt, die jeweils gesellschaftliche, ökologische und ökonomische Perspektiven verknüpfen. Grundlage dieser Ansätze ist das gemeinsame Ziel, so zu leben, dass unsere planetarischen Grenzen dabei nicht überschritten werden. Grundlage für die sozial-ökologische Transformation ist eine gerechtere Verteilung des globalen Wohlstands. Kurzzeitig wird es auch Transformationsverlierer*innen geben, wenn zum Beispiel die letzten Kohlegruben schließen. Gefordert werden Transparenz und Bürger*innenbeteiligung, denn so tiefgreifende Veränderungen funktionieren nicht als Anordnungen von oben. Auf internationaler Ebene wurden 2015 als Rahmen für die globale Transformation die nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) von allen Staaten dieser Erde gemeinsam beschlossen.
Suffizienz
Suffizienz wird als eine Lebens- und Wirtschaftsweise verstanden, die der maßlosen Verschwendung von Gütern und damit von Rohstoffen und Energie ein Ende setzt. Durch einen möglichst geringen Rohstoffverbrauch wird versucht, auf die natürlichen Grenzen und Ressourcen des Planeten Rücksicht zu nehmen.
Sustainable Development Goals (SDG), Ziele für nachhaltige Entwicklung/Agenda 2030
2015 verabschiedeten die Mitgliedsstaaten der UN die so genannte 2030-Agenda für nachhaltige Entwicklung. Die 17 Oberziele beziehen sich auf alle Staaten. Zur Umsetzung der SDGs wurde in Deutschland die „Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie“ grundlegend überarbeitet. Zu den Zielen gehören unter anderem die Bekämpfung des Klimawandels, nachhaltige Konsum- und Produktionsweisen, der Schutz der Ozeane und Landökosysteme. Im Unterschied zu den Millenium Development Goals (MDGs) aus dem Jahr 2000 richten sich die SDGs nicht mehr nur an die Länder des Globalen Südens als Adressaten von nachhaltiger Entwicklung und Entwicklungspolitik. Vielmehr fordern die SDGs nun gleichsam die Staaten des Nordens auf, ihre Defizite in den verschiedenen Bereichen nachhaltiger Entwicklung zu beseitigen. Damit bieten die SDGs auch das Potenzial für Wachstumskritik und Debatten um globale Verteilungsfragen und soziale Gerechtigkeit. Gleichzeitig ist eine Orientierung an Wirtschaftswachstum auch in Ziel 8 der SDGs verankert, was Widersprüche innerhalb der Ziele offenbart.
Universalität von Werten
„Universalität“ bezeichnet räumliche und zeitliche Unveränderlichkeit und bezieht sich in der Ethik auf die Allgemeingültigkeit wichtiger moralischer Begriffe oder kultureller Überzeugungen wi e Werte oder Menschenrechte. Doch welche Gültigkeit haben unsere Werte und Normen über nationale und kulturelle Grenzen hinaus? Wenden wir sie auf alle Menschen an? Werden sie von allen Menschen in gleicher Weise angewendet?
Unter dem Dach der Vereinten Nationen wurden im Laufe der Jahrzehnte eine Reihe von Prinzipien ausgehandelt, die sehr stark normativ geprägt sind und von den meisten Staaten zumindest formal anerkannt werden. Dies betrifft die Menschenrechte, das Arbeitsrecht, das Prinzip der nachhaltigen Entwicklung und der Armutsbekämpfung.
Verlernen
Dominanz und Unterdrückung sind nicht alleine äußere Prozesse, sondern werden sowohl von jenen, die Privilegien genießen, als auch jenen, die Diskriminierung erfahren, verinnerlicht. Deshalb geht in Bildungsprozessen nicht nur darum Neues zu lernen, sondern verinnerlichte Dominanz- und Unterdrückungslogiken und -mechanismen zu verlernen: sie zu hinterfragen, herauszufordern und zu verändern.
Versklavung/Versklavungshandel/Versklavte
Die Benutzung der Silbe „ver“ soll die gewaltvolle, aktive Dimension dieser Praxis betonen und herausstreichen, dass kein Mensch als Sklave geboren wird, sondern nur durch Versklavung zu einem solchen gemacht werden kann. Insbesondere die Europäer*innen haben während der Kolonialzeit Menschen vom afrikanischen Kontinent versklavt und dabei gewaltvoll über den Atlantik verschleppt und als Arbeitskräfte ausgebeutet. Millionen von Menschen wurden ihrer Freiheit beraubt und kamen dabei ums Leben.
Vorkoloniale Gesellschaften
Vor der europäischen Kolonialisierung der Amerikas, Asiens und Afrikas existierten politisch, ökonomisch und sozial sehr unterschiedlich organisierte und komplex strukturierte Gesellschaften. Gerade über vorkoloniale Gesellschaften in Afrika wird heute in Europa wenig Wissen verbreitet. Im schlimmsten Fall wird Afrika als ein Kontinent ohne Geschichte dargestellt. Unterschlagen wird mit der Nichtbenennung vorkolonialer Geschichte auch das Ausmaß der Zerstörung durch den Kolonialismus.
White Savior Complex / weißer Retter*innenkomplex
Dieses Motiv der weißen Retter*innen in Bezug auf globale Probleme steht in kolonialer Kontinuität und ignoriert die Verantwortung weißer Menschen für ebendiese Problemlagen. Beispiele hierfür finden sich auch im weiß geprägten Klimaaktivismus, wenn das Klima gerettet werden soll, ohne dass die Frage nach den Ursachen der Klimakrise in Zusammenhang mit Kolonialismus und Rassismus reflektiert wird.
3. Quellen
Dieses Glossar wird seit 2017 kontinuierlich aufgebaut. Redaktionell verantwortlich ist die BREBIT-Koordinationsgruppe. Mitgearbeitet haben darüber hinaus Abdou Rahime Diallo und Christian Kopp (2017), Merle Groneweg (2018) sowie Simone Holzwarth (2019). Viele hier eingeführten Annährungen an Begriffe sind folgenden Publikationen entlehnt:
quix. kollektiv für kritische bildungsarbeit (Hg.): Willst Du mit mir gehen? Gender_Sexualitäten_Begehren in der machtkritischen und entwicklungspolitischen Bildungsarbeit. Wien, 2016.
AK Rohstoffe: Rohstoffpolitisches Glossar. 2018.
Degrowth. Handbuch für eine neue Ära. D’Alisa, G.; Demaria, F. Und Kallis, G. (Hrsg.). Oekom 2016.
Elisabeth Voss in Oya 34, Sept./Okt. 2015: Glossar Solidarische Ökonomie
Susan Arndt, Nadja Ofuatey-Alazard (Hg.):Wie Rassismus aus Wörtern spricht. (K)Erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutsche Sprache. Ein kritisches Nachschlagewerk. Unrast Verlag, 2011.
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